Heike Deutschmann, geb. Drees, stammt aus Bredstedt und lebt in Hamburg. Fotos (alle): Karin Haug
Genauso eine Wohngemeinschaft sol l in einem denkmalgeschützten Reetdachhaus mitten in Drelsdorf entstehen. So ist zumindest der Plan von Heike Deutschmann, die in Hamburg lebt und das Haus ihr Leben lang kennt, das ihr Sohn geerbt hat. „Hier hatte mein Onkel das Pferdegeschirr.“ Heike Deutschmann zeigt auf eine hohe Wand, wo später einmal der barrierefreie Haupteingang der Wohngemeinschaft sein soll. Mit sehr viel Phantasie kann man sich 14 Wohnungen und eine Wohnküche in dem großen Haus und dem angrenzenden Stall vorstellen. In ihren Gedanken ist aber schon alles fertig. Dort, wo jetzt teilweise das alte Haus im Rohbau steht, sollen einmal ältere und demente Menschen zusammenleben. „Jeder bekommt seine eigene Wohnung mit Toilette. WG bedeutet, dass eine große Wohnküche dazugehört.“ Auch an Gästezimmer ist gedacht.
Heike Deutschmann hat in den letzten Jahren selbst mehrere Familienangehörige betreut oder gepflegt. „Da habe ich gesehen, wie schwierig das ist.“ Die Betreuung neben Beruf und eigener Familie „geht irgendwann nicht mehr“. Pflege bis an die Belastungsgrenze ist typisch für die häusliche Pflege. Die Landesregierung berichtet im November, dass jede zweite pflegende Angehörige während der Pflege die Verschlechterung der eigenen gesundheitlichen Situation erlebt. Neben körperlicher Belastung durch Umlagern oder Heben sind auch die psychischen Folgen teilweise erheblich. Doch der Umzug ins Heim mit festen Essenszeiten und wenig Individualität ist ein Schritt, den viele Menschen erst dann gehen, wenn zuhause wirklich gar nichts mehr geht. Darum soll in Drelsdorf quasi eine Mittelform zwischen häuslicher Pflege und Heimaufenthalt geschaffen werden. Dort geht man den Weg zur Gründung einer selbstbestimmten Wohngemeinschaft. Im Januar 2023 sollen die Bauarbeiten starten. Nach 15 Monaten soll dann, wenn alles planmäßig läuft, Einzug gefeiert werden. Der Businessplan steht; jetzt werden die Finanzen geklärt. „Ich war heute gerade bei der Bank. Unser Verein braucht aber noch Sponsoren“, sagt Heike Deutschmann, als wir uns im „Haus Golbers“ treffen. Ein Trägerverein wird das Haus an Menschen vermieten, die sich aufgrund von Demenz oder Pflegebedürftigkeit nicht mehr selbst versorgen können.
Der Hof „Golbers“ in Drelsdorf wird 2023 eine selbstbestimmte ambulant betreute Wohngemeinschaft. Foto: Karin Haug
Damit wird das Risiko, aber auch die Arbeit auf viele Schultern verteilt. In der WG soll später einmal eine Pflegefachkraft rund um die Uhr im Haus sein. Welcher Pflegedienst ins Haus kommen soll, entscheiden die BewohnerInnen selbst. Die Selbstbestimmung soll das Grundprinzip des Hauses sein. Während in einem Pflegeheim den BewohnerInnen nicht einmal das Kartoffelschälen erlaubt ist, werden in Drelsdorf später einmal eigene Hühner für frische Eier sorgen.
Wohngemeinschaften können eine Alternative zu Alten- und Pflegeheimen sein. Auf Amrum drohte mit der Schließung des DRK-Pflegeheims in Nebel der Umzug der Pflegebedürftigen aufs mehrere Stunden entfernt liegende Festland. Erst auf Initiative der Kommune, genauer gesagt eines Zweckverbands, und erheblicher finanzieller Investitionen konnte die Versorgung pflegebedürftiger Menschen auf der Insel gesichert werden; allerdings nicht mehr als Heim, sondern als Wohngemeinschaft. Dorthin konnten die BewohnerInnen nach Umbau und Renovierung aus dem „Exil“ (Insel-Bote) wieder heimkehren; die erste im Februar dieses Jahres. Auf der Nachbarinsel Föhr ringt das bestehende Heim mit Personalengpässen und entsprechend schlechter Betreuung. Wird auch hier das Konzept geändert werden und durch eine Wohngemeinschaft ersetzt werden? Das wirft die Frage auf, ob Wohngemeinschaften und betreutes Wohnen zukünftig die Heime ablösen werden? Sind sie das Modell der Zukunft?
Es spielen hier zwei Faktoren eine Rolle: die steigende Zahl der Pflegebedürftigen und die Infrastrukturen im ländlichen Nordfriesland. Das Bundesgesundheitsministerium verweist auf das steigende Lebensalter und die damit verbundene Verdopplung der Pflegebedürftigen in den letzten 25 Jahren: Wer 80 Jahre und älter ist, hat statistisch ein Pflegerisiko von über 40 Prozent. Die Zahl der Pflegekräfte kann mit dem Wachstum der Hochaltrigen nicht Schritt halten. Andererseits stehen viele Wohnhäuser in Nordfriesland leer, weil die Kinder der ehemaligen Besitzer nicht mehr in Nordfriesland wohnen. Da bieten sich Projekte wie eine Pflege-WG doch eigentlich an: alte Häuser werden zu Wohngemeinschaften umgebaut und erlauben auf diese Weise auch bei Pflegebedürftigkeit, im Dorf wohnen bleiben zu können. „Hauptsache, der Kontakt zum Dorf bleibt erhalten“, sagt WG-Initiatorin Heike Deutschmann. Wenn da nicht die Vorschriften wären: „Die Baugenehmigung hat fast ein Jahr gedauert“, berichtet die ehemalige Sozialarbeiterin. „Ohne Hans-Georg Hostrup von der IG Baupflege hätte das sicherlich noch länger gedauert.“ Auch die Genehmigung vom Kreis war nicht leicht. Schleswig-Holstein geht heimrechtlich nämlich einen sehr eigenen Weg mit dem Selbstbestimmungsstärkungsgesetz, das streng zwischen anbieterverantworteten und selbstverantwortlich geführten Einrichtungen unterscheidet. „Es war sehr verwirrend, wer für was zuständig ist“, sagt Heike Deutschmann. In Husum war man zunächst skeptisch gegenüber der neuen Betreuungsform in einer WG. Die Frage stand im Raum, ob man es in Drelsdorf mit einem verkappten Heim zu tun habe und nur die Heimaufsicht umgehen wolle. Dieses Misstrauen hat sich inzwischen gelegt. Mit jeder neuen WG wird diese Wohnform normaler werden, ist sich Heike Deutschmann sicher.
Der größte Unterschied zum Heim besteht aber nicht in der Aufsicht, sondern in der Notwendigkeit, dass der Einsatz von Ehrenamtlichen und Angehörigen nötig ist. Eine WG kann nämlich nur funktionieren, wenn viele mitmachen: „Das Herz kommt von den Angehörigen“, sagt Heike Deutschmann. Sie hofft, dass sich die Angehörigen beispielsweise an der Anlage eines Gemüsegartens beteiligen. Das klappt in bestehenden Wohngemeinschaften in Husby und Hörup im Nachbarkreis Schleswig-Flensburg schon ganz ausgezeichnet. In Drelsdorf haben sich darüber hinaus viele Vereine gemeldet, die für die WG etwas anbieten wollen, wie die Landfrauen, und das Haus vielleicht auch für Versammlungen nutzen wollen.
Mehrere Zimmer mit eigenem Bad sowie eine große Wohnküche sind im Entstehen. Foto: Karin Haug