von Gerhard Deutschmann
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11. Januar 2023
Die Bevölkerung in Deutschland wird immer älter, auch in Nordfriesland. Viele der alten Menschen werden zum Pflegefall. Neben der Pflege zu Hause durch Angehörige oder Pflegedienste oder dem Umzug in eine klassische Pflegeeinrichtung gibt es eine relativ neue und noch wenig bekannte Alternative: ambulant betreute Wohngemeinschaften. Wer im Internet auf die Suche nach „Pflege in Nordfriesland“ geht, bekommt ganz oben einige Werbeangebote angezeigt: „Pflegekräfte aus Polen – Bezahlbare 24 Stunden Pflege“. Der schlaue Algorithmus meint zu wissen, wo der Hase im Pfeffer liegt, wenn es um die Pflege geht; und zwar in der mangelnden Unterstützung zuhause; und diese bieten Anbieter mit ausländischen Fachkräften, die meist für wenige Monate ins Haus kommen. Doch für die allermeisten Menschen kommt dieser graue Markt nicht infrage. Sie pflegen ihre Angehörigen selbst. Fast 1.700 Menschen in Nordfriesland waren laut letzter Statistik aus 2017 ambulant pflegebedürftig. Das bedeutet, sie wohnen zuhause und benötigen Unterstützung beim Ankleiden, Waschen oder bei der Medikamentengabe. Die Zahl dürfte entsprechend des rasanten Anstiegs der Pflegegeldempfänger inzwischen deutlich höher liegen. Laura Berndt von der Pressestelle des Kreises Nordfriesland: „Geschätzt zwei Drittel aller Pflegebedürftigen in Nordfriesland werden von Familienangehörigen versorgt.“ Das sind neben den Kindern und Schwiegerkindern meist die betagten Partner der Pflegebedürftigen. Da kann Pflege schnell mal zu viel werden. Der Kreis Nordfriesland bietet deswegen über die Pflegestützpunkte in Husum, Bredstedt, Niebüll, Tönning und Westerland Beratungen an. Man kann sich aber auch innerhalb von zwei Wochen zuhause beraten lassen. Bei den Beratungsgesprächen geht es meist um die Organisierung von Unterstützung, eventuelle Umbauten oder die Beantragung der Pflegestufen im Rahmen der Pflegeversicherung. „Viele der Menschen, die das Beratungsangebot nutzen, sind zum ersten Mal mit dem Thema Pflege in Berührung gekommen, weil der eigene Partner oder die eigenen Eltern pflegebedürftig geworden sind“, sagt Laura Berndt. „Allein 2021 haben die Kolleginnen 3.114 Hilfesuchende beraten – davon 2.141 per Telefon, 804 im Rahmen von Hausbesuchen und 169 in offenen Sprechstunden.“ Nach dem Beratungsgespräch geht es meist auf die Suche nach freien Kapazitäten von Pflegediensten. In manchen Fällen, beispielsweise nach einem Sturz und der darauffolgenden Pflegebedürftigkeit, muss der Umzug in ein Alten- oder Pflegeheim organisiert werden, denn die wenigsten Eigenheime oder Wohnungen sind barrierefrei. Kreis und Kommunen bemühen sich zwar, dass mehr barrierefreie Wohnungen geschaffen werden, die auch mit Rollator nutzbar sind, doch die Zahl ist immer noch zu klein. Stattdessen ist die Regel, dass bei eintretender Pflegebedürftigkeit erst einmal zuhause die Pflege organisiert wird – bis es ins Altenheim geht. Davon gibt es in Nordfriesland eine große Auswahl: von der Seniorenresidenz, der Wohnanlage bis zum Alten- und Pflegeheim. Allen gemeinsam ist, dass mit dem Umzug viele Verbindungen zu Nachbarn und Freunden gekappt werden. Wie kann man aber auch im Alter bei steigender Pflegebedürftigkeit im Dorf, in seiner vertrauten Umgebung bleiben? Der Fachterminus heißt „Selbstbestimmte ambulant betreute Wohngemeinschaft“. Und genau das existiert in Nordfriesland erst ein einziges Mal: in der „Alten Schule“ in Haselund. Dort wohnen und leben Menschen in einem Projekt zusammen, das auf drei Säulen beruht: der Hausgemeinschaft, einem Vermieter und einem ambulanten Pflegedienst, der die Versorgung der Mieterinnen und Mieter sicherstellt. Begleitet und beraten wird das Projekt von der Koordinationsstelle für innovative Wohn- und Pflegeformen im Alter (kiwa) in Rendsburg. Dort hat man erkannt, dass Wohngemeinschaften im Alter sich besonders für Menschen mit Demenz eignen, da Gemeinschaft diese stärkt und ihre Kompetenzen erhält. Deshalb berät kiwa Menschen, die eine Wohngemeinschaft ins Leben rufen wollen.